Südtiroler Sagenwelt

goes online

Südtirol ist ein sagenhaftes Land: Einst haben Hexen und Teufel, Riesen und Zwerge, Geister und Untote hierzulande ihr Unwesen getrieben. Jetzt lässt sie der Künstler Harald Kastlunger auf seine eigene, fantastische Art wieder auferstehen.

Von Tony Steiner

 

 

So gut wie jeder Südtiroler dürfte zumindest einmal etwas vom König Laurin gehört haben, der eine oder andere mag sogar mit der Sage vom Ritter Prack vertraut sein und so manch einem dürften auch die Grenzsteinversetzer vom Ackerboden ein Begriff sein. Der wahren Größe der Sagenwelt unseres Landes sind sich aber nur sehr wenige Südtiroler bewusst.

Einer von ihnen ist der Brixner Künstler Harald Kastlunger, der vor allem für seine abstrakten Malereien, jedoch ebenso für seine realistischen Zeichnungen auch weit über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung findet. In seinem neuen Projekt, das einhergeht mit dem Aufbau eines Webmuseums, hält er Sagen aus allen Winkeln Südtirols im Stile des Phantastischen Realismus bildlich fest: Er malt sie so, wie er sie sich in seiner Welt vorstellt. Neben diesen beschäftigt er sich in seiner Bilderreihe „Phantastischer Realismus" auch mit mythisch-erotischen Themen sowie historischen Persönlichkeiten Tirols.

So darf es jemanden nicht verwundern, wenn zwischen Hexen, Teufeln und Geistern plötzlich ein bisexueller Frosch mit Brüsten oder ein kindlich gemalter Hitzkopf namens Andreas Hofer herausstechen.

Was diesen Teil des Projekts jedoch von den Sagen unterscheidet, ist, dass er für ein gehobenes  reiferes Publikum gedacht ist, während erstere für Kinder zugänglich und verständlich sein sollen. Sein Phantastischer Realismus thematisiert nämlich zum einen kindliche Wünsche, zum anderen aber auch jugendliche Träume und erwachsene Sehnsüchte.

130 Sagen auf Video

Zudem hat er mit einem langjährigen Freund, Dr. Theodor Reiserer, der Kastlungers Webmuseum ins Netz gestellt hat und verwaltet, zu jeder Sage ein Video aufgenommen. Bis jetzt sind es an die 130, in denen er diese einem jungen Mädchen kindgerecht erzählt und anschließend kurz sein Gemälde dazu beschreibt. Die Aufnahmen können im Webmuseum zusammen mit den Malereien und Bildbeschreibungen angeschaut werden, sind jedoch auch über die Videoplattform YouTube aufrufbar. Was ihnen beim Filmen besonders wichtig war: die Sprache. „Kastlunger erzählt die Sagen im Südtiroler Dialekt, weil sie dadurch – vor allem für Kinder – viel besser zugänglich und identitätsstiftend sind", erklärt Reiserer, und fährt fort: „Der Haken an der Sache ist, dass das Webmuseum momentan nicht professionell betrieben wird.  Es handelt sich um eine Website, die gratis erstellt wurde und die derzeit auch für den Besucher kostenlos ist. Geplant ist, sie nach dem ‚Pay-per-Click- Modell‘ zu gestalten, jedoch fehlen dazu noch die nötigen finanziellen Mittel." Ziel ist es, dass Harald Kastlunger in seiner Gesamtheit als Künstler für mehr Menschen sichtbar wird. Wie ginge das besser als übers World Wide Web? Am allerwichtigsten ist den beiden Brixnern jedoch, die Südtiroler Sagen authentisch aufzuarbeiten und über ihre Plattform, das Webmuseum, zu präsentieren.

Ein sagenhaftes Knistern

„Es knistert nur so in Südtirol", sagt Kastlunger in seinem Erklärungsvideo ‚Der phantastische Realismus‘. Jedes Dorf hat seine Hexen- und Geistergeschichten, die Sagen sind ein wichtiger Identitätsstifter für das Land. Doch die beiden Brixner sind der Meinung, dass es in der Südtiroler Sagenwelt eine Lücke gibt: Die Sagen müssen auch von einem Einheimischen im entsprechenden lokalen Dialekt wiedergegeben werden, denn da sie bis dato nur auf Hochdeutsch erhältlich sind (wie etwa in Wolffs Sagensammlung), fehlt den Südtirolern ein wichtiger Zugang dazu. Indem Kastlunger diesen Zugang mit seinen Gemälden und Erzählungen geschaffen hat, hat er aus der knisternden Glut ein Signalfeuer entfacht.

 

 

 Zum Download des Artikels: Steiner Tony: Insüdtirol, Nr. 29, 18.07.2013, Seiten 32-33: Südtiroler Sagenwelt goes online

 

Insüdtirol.pdf